Sound on Screen Festival Edition

Internationales Filmfest Braunschweig e.V.

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GREGORY PORTER: DON’T FORGET YOUR MUSIC
Regie: Alfred George Bailey

DEUTSCHE PREMIERE
USA, GB, F, D 2016
85 Min., OV

Beitragsbild“You have to experience life before you sing it”. Der weltweit gefeierte Jazz- und Soulsänger Gregory Porter hat wahrlich die Höhen und Tiefen des Lebens durchgemacht. Das intime Portrait des sanften Riesen mit der markanten Baritonstimme zeigt die vielen Stationen seiner turbulenten Karriere, von den ersten Schritten in der Gospelkirche bis zu seinem Welterfolg mit dem Album “Liquid Spirit”, für das er einen Grammy erhielt. Daneben hat das Filmteam die Aufnahmen zu seinem letzten Album “Take Me To The Alley” sowie zahlreiche Liveauftritte begleitet. Von seiner mitreißenden Bühnenpräsenz schwärmen auch die Interviewpartner Jamie Cullum, Van Morrison und Jools Holland.

Internationales Filmfest Braunschweig e.V. in Kooperation mit Initiative Jazz Braunschweig

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Jamsession im Quartier

Opener:

Eva Kühne – voc / git
Tobi Lampe – bass
Felix Schulz-Benn – drums
Stefanie Riemenschneider – ts

Eintritt: frei

Kritik zu “Arild Andersen Trio”

Die stille Show
Jazzkonzerte bieten dem Auge des geneigten Hörers besondere Erlebnisse

Musik ist zuallererst ein physikalisches Ereignis. Es geht um Schwingungen der Luftsäule, um physikalisch-akustische Gesetzmäßigkeiten. So weit, so einfach. Was diese Schwingungen dann hervorrufen, kann man knochentrocken und sehr zutreffend mit dem Musikhistoriker Alex Ross „eigenartige Empfindungen“ nennen. Jeder Konzertbesuch illustriert das. Gleichzeitig aber wird auch das Auge bei Konzerten angesprochen. Es soll hier nicht um die Shows populärer Musik gehen, etwa die Akrobatik-Einlagen von Helene Fischer oder die Multimedia-Shows eines Udo Lindenberg. Es geht hier nicht um zielgerichtete Handlungen, vielmehr um etwas Beiläufiges und Stilles: um Mimik und Gesten vor allem. Etwas, das besonders bei Jazzkonzerten eine zusätzliche Ebene der Beobachtung, eine zusätzliche Intimität bietet, die es anderswo in der Musik in dieser unmittelbaren Form nicht gibt.

Was erlebte man nun beim Konzert des Arild-Andersen-Trios am Samstagabend im Braunschweiger LOT-Theater so ganz beiläufig? Um es ganz klar zu sagen: nichts Sensationelles. Etwas, was sich in jedem Jazzkonzert ereignet, allerdings kaum Beachtung findet, obwohl es doch individuell immer wieder anders ausgeprägt ist.
Also: Andersen spricht seine Musik, zumindest bewegen sich seine Lippen während des Spielens permanent. Es könnte auch ein inneres Singen sein. Jedenfalls eher still. Nicht wie bei Keith Jarrett dieses hochtönige Untermalen.
Der schottische Saxofonist Tommy Smith fällt auf andere Weise auf. Nicht beim Musizieren, wohl aber beim Zuhören. Er geht in die Hocke, fixiert seinen Bandleader aufmerksam und zeigt sich bei einigen Bassläufen höchst interessiert. Gleichzeitig verfolgt seine rechte Hand oft den rhythmischen Verlauf des Spiels seiner Kollegen. Er kann nicht loslassen, wenn man so will. Thomas Strønen, der Schlagzeuger, wird auf seltsame Weise von der Rhythmusarbeit angepackt. Je nach dynamischem Einsatz streckt sich der ganze Körper nach oben, dreht sich nach links bzw. rechts, begleitet mitunter von einem milden Lächeln. Nach Phasen höchster Konzentration, im Spannungsabfall, wirkt er wie im Trance-Zustand mit glasig-verschleiertem Blick.
Interessant sind die Momente, und derer gibt es an diesem Abend recht viele, in denen die Musiker lächeln: einzeln, zu zweit oder auch kollektiv. Was mag das Belustigende, Erfreuliche sein? Man kann oft nur rätseln. Eine unerwartete Variante im Spiel? Ein kleiner Fehler, nur dem Insider bemerkbar? Ein besonderer musikalischer Coup? Oder ziehen die Burschen nur die Shownummer „cooler Jazzer“ ab? Mitunter aber ist der Grund erkennbar. Wenn Andersen etwa mitten im Stück den Rhythmus über drei, vier Takte jäh verändert. Einfach so ein kleiner musikalischer Scherz. Variatio delectat. Das lässt schon mal grinsen.
Dass das Spiel an die psycho-physische Substanz geht, ist nicht zu verbergen. Es muss nicht unbedingt so ein speediger Fetzer sein wie „Outhouse“, der nach Luft schnappen lässt. Auch langsame Balladen, Uni-Sono- und Soloparts fordern Etliches ab, was zu einem Aufrichten, Lockern, Zurücktreten zwingt. Vor allem zu einem ständigen Blickkontakt während des Spiels. Man nennt das „das Interplay“, das Zusammenwirken der Musiker, hier auf der visuellen Ebene. Man mag noch so lange miteinander gespielt und Automatismen eingeschliffen haben. Der Zeitpunkt der Changes, die Dauer der Soli, die emotionale Verfassung der Einzelnen kann nur über den Blick erfasst werden. Interplay als Spiel der Blicke zwischen den Protagonisten.

Die drei Herren sind allesamt gestandene Musiker, aber – und das sollte das Publikum in seinem Selbstwertgefühl doch erheblich stärken – wenn es den Zwischenbeifall für gelungene Solo-Arbeit gibt, dann freuen sie sich aufrichtig. Tommy schottisch knapp, Thomas noch etwas erschöpft, am gelöstesten aber Arild, trotz seiner fast 50jährigen Karriere. Und diese Freude über ein gelungenes Konzert und die Ovationen des Publikums erscheint wieder völlig ungekünstelt am Konzertende und wird mit Zugaben belohnt.
Und was sieht der Musiker, wenn er ins Publikum blickt? Das sei ein anderes Thema.

(Ein Beitrag zu Peter Rüedis „Ästhetik des Beiläufigen“)

Klaus Gohlke

Arild Andersen Trio

LOT-Theater, Kaffeetwete 4a, 38100 Braunschweig

Arild Andersen – Kontrabass
Tommy Smith – Saxofon
Thomas Strønen – Schlagzeug

Im letzten Jahr war der in den USA lebende britische Jazz-Bassist Dave Holland mit seinem Trio bei uns zu Gast und spielte ein eindrucksvolles Konzert. Im Herbst dieses Jahres nun präsentieren wir wiederum einen großartigen Bassisten, keinen geringeren als „One of Europe’s leading bassplayer“ (all about Jazz), den Norweger Arild Andersen. Auch er im Trio-Format, auch wieder im Braunschweiger LOT-Theater.
Andersen ist ein Meister des vollendeten Tons. Technisch perfekt, unangestrengt und makellos elegant fließen seine Basstöne, gerne elektronisch angereichert mit einem Electro Harmonix Delay. „It’s about sound – and that is in your mind, as well as in your fingers!“, wie er im Gespräch bekannte.

Seine eigene Stimme fand Andersen früh in den 70er Jahren im Zusammenspiel mit den Größen der improvisierten Musik wie Stan Getz, Sonny Rollins, Dexter Gordon, Chick Corea, Paul Bley, um nur einige zu nennen. Aber anders gewichtend als Dave Holland – erweiterte Andersen die damals dominierende US-amerikanische Tonsprache um spezifische europäische musikhistorische Traditionen und ethnomusikalische Vielfalt.
„Jazz muss nicht mehr nach dem amerikanischen Reinheitsgebot gespielt werden. Die Ursprünge des Jazz in Amerika sind immer noch spannend, die amerikanischen Meister grandios, aber Jazz steht für Freiheit, sich musikalisch neue Wege, neue Ausdrucksformen zu suchen!“, so Andersens Credo.

Ergebnis war das umwerfende Arild Andersen Quartet mit Jon Christensen, Nils Petter Molvær, Jon Balke und Tore Brunborg, das die europäische Jazzmusik viele Jahre beeinflusste. Gleichzeitg erschloss Andersen aber auch Querverbindungen zwischen traditioneller norwegischer Folkmusik und modalem Jazz, die er orchestral ausbaute. Immer wieder aber – darin Dave Holland sehr ähnlich – zieht es ihn zu Jazz-Kleinformaten, besonders dem Trio. Ob mit Ralph Towner und Nana Vasconcelos; mit Markus Stockhausen und Patrice Heral oder jetzt wieder und hier in Braunschweig mit Tommy Smith (sax) und Thomas Strønen (dr).

Was ihn an diesem Trio reizt, umreißt Andersen so: „Die gemeinsame Klangsprache, eine treibende Energie, die sich immer wieder eigene künstlerisch zutiefst befriedigende Wege bahnt.“

Andersen nennt Tommy Smith einen der besten Saxofonisten der Welt, der wohl nur deshalb nicht im Rampenlicht der Jazzwelt steht, weil er ein absoluter Teamplayer ist (u.a. mit Gary Burton, Chick Corea und John Scofield).

Thomas Strønen (1972) ist ein norwegischer Jazz-Schlagzeuger und Komponist, der an über 60 Alben mitgewirkt hat. Er hat mit international bekannten Künstlern weltweit zusammengearbeitet wie Iain Ballamy, Arve Henriksen, Mats Eilertsen,Eivind Aarset, Nils Petter Molvaer, Bob Stenson, John Taylor,Sidsel Endresen, Bugge Wesseltoft, Tomasz Stanko und Ernst Reijsegger.

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Karten:
Musikalien Bartels, Braunschweig, Wilhelmstraße 89, Tel.: 05 31 / 12 57 12
Konzertkasse Braunschweig,
  Schloss-Arkaden & Medienhaus Braunschweiger Zeitung, Tel.: 05 31 / 1 66 06
• Online über eventim
• Abendkasse

Eintritt: Abendkasse 25 € / 22 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen)

Mit freundlicher Unterstützung:
eck*cellent IT GmbH
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

Interview mit Arild Andersen

Feine Klangsprache, famose Energie
Ein Interview mit dem norwegischen Bassisten Arild Andersen

Gute Nachrichten für die Braunschweiger Jazzfreunde! Nach Dave Holland im letzten Jahr kommt wiederum ein herausragender Jazzbassist ins Braunschweiger LOT-Theater: der Norweger Arild Andersen mit seinem Trio. Klaus Gohlke telefonierte mit dem in Oslo lebenden Bassisten.

Arild, du bist jetzt einundsiebzig Jahre alt. Immer noch die große Lust auf Tour zu gehen?

Ja, durchaus. Konzerte spielen ist etwas Unersetzbares im Leben. Nur die Flughafen-Checkerei nervt immer mehr, zumal mit dem dicken Instrument.

Warum spielst du nicht den handlicheren E-Bass?

Ich hab das ja auch eine Zeitlang gemacht. Aber dann hörte ich Jaco Pastorius (einer der einflussreichsten E-Bassisten, der das Bass-Spiel musikalisch revolutionierte. K.G.). Seine Technik auf dem Instrument war überwältigend, unerreichbar. Also konzentrierte ich mich auf den Kontrabass. Jacos musikalisches Verständnis aber, was die Rolle des Basses im Zusammenspiel betrifft, sein melodisches Verständnis, das teile ich voll und ganz.

Du hast mit den ganz Großen des US-amerikanischen Jazz zusammengespielt. Du wolltest aber nicht wie etwa Dave Holland in New York bleiben.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Jazzmusizieren. In Amerika ist die Band in der Regel um einen Star, der der Boss ist, geschart. Top-Down. Ich habe ja gelernt bei den Großen des amerikanischen Jazz: Sonny Rollins, Dexter Gordon, Chick Corea. Wenn du mit Dexter auf der Bühne standest, rief er plötzlich mitten im Song: „Next „Cherokee“ und dann musstest du das drauf haben, keine Absprache vorher, er war der Boss. Der europäische Jazz zeichnet sich durch ein demokratischeres, gleichberechtigteres Zusammenspiel aus. Es ist ein gemeinsames Herausarbeiten musikalischer Ideen, die eine klangliche Identität einer Band entstehen lässt. Die Basis des amerikanischen Jazz ist der Blues. Hier in Europa spielen darüber hinaus immer mehr eigene musikalische Traditionen eine Rolle, aber auch die zeitgenössische Kunstmusik.

Bei norwegischem Jazz denken viele Jazzfreunde an einen speziellen skandinavischen Sound: Klare, kühle Töne, die Landschaftsbilder evozieren, sehr melodiös.

Du meinst diesen spacigen Sound mit viel Reverb, also den Jan Garbarek-Klang der 70er Jahre? Das war eine Zeitlang sehr angesagt. Damit habe ich es nicht so sehr. Ich knüpfe an am traditionellen Jazz. Aber ich bin beeinflusst sowohl von der schönen Schlichtheit der norwegischen Folklore, wie ich auch zurückgreife auf die Abstraktionen zeitgenössischer Neuer Musik. Ich habe ja auch spirituelle Musik geschrieben und Film-und Theatermusiken.

Wenn du auf deine Jazzgeschichte blickst: gibt es da einschneidende Veränderungen?

Durchaus. Zwei zentrale Einschnitte sehe ich. Miles Davis‘ Album „Bitches Brew“ war der Bruch schlechthin. Weg von aller Swing-Ästhetik. Dafür elektrischer Jazz-Rock. Rhythmisch völlig anders gedacht, eine eigenartige Offenheit. Die andere zentrale Veränderung ist die jetzt gängige Verwendung ungerader Rhythmen. Das gab es auch schon früher, etwa bei Brubeck. Aber jetzt sind die komplexen Rhythmen nahezu üblich. Mich interessiert das nicht so sehr.

Wo warst du eigentlich musikalisch als junger Mann, damals als es z.B. die Stones- und Beatles-Debatten bei den Fans gab?

Beatles? Wunderbare Melodien. Und die Rolling Stones habe ich auch im Konzert kennengelernt. Aber erst viel später. Was Gitarrenmusik angeht, so fand ich Charlie Christian stark. Ansonsten Miles Davis, Herbie Hancock. Den Bassisten Gary Peacock oder Stan Getz am Saxofon. Ich war also etwas anders orientiert als die meisten Jugendlichen damals.

Was können wir dann bei deinem Konzert in Braunschweig erwarten?

Eine sehr abwechslungsreiche, durchaus auch melodische Musik. Eine feine Klangsprache, famose Energie und ab und an Herzschmerz.

Klaus Gohlke